Interview mit Paul

Sexualisierter Substanzkonsum ist ein Teil der heutigen schwulen Lebenswelt.
Paul Hirning ist seit 2018 bei der Aidshilfe Köln beschäftigt und dort unter anderem für die Chemsex-Beratung und -Gruppenangebote zuständig. Ziel dieser Angebote ist es, die Männer zu erreichen, bevor der Konsum zu massiven Problemen geführt hat, und Konsumenten Informationen zu Substanzen, Safer Use sowie Safer Sex zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es immer darum zu vermitteln, wie die Männer beim Konsum Risiken minimieren können und wohin sie sich für Unterstützung wenden können.
Ich finde das sehr wichtig und sinnvoll, weil Herzenslust sich unter dem Gesichtspunkt von sexueller Gesundheit und Prävention explizit an MSM oder schwule Männer richtet. Weil sexualisierter Substanzkonsum ein Teil der schwulen Lebenswelt ist, muss er auch von Herzenslust thematisiert werden. Es geht dabei nicht nur um sexuelle Gesundheit, sondern auch um Lebenszufriedenheit sowie den Umgang mit Risiken und viele andere Punkte, die zur Lebenswelt und zur Realität schwuler Männer gehören. Herzenslust als landesweites Projekt für MSM tut gut daran, sich diesem Thema zu widmen und auch auf die Bedarfe zu reagieren.
Auf Landesebene ist es ein wichtiger Schritt, da es meines Wissens nach in NRW – außer in Köln – nur vereinzelt Beratungs- oder Versorgungsangebote für die Zielgruppe gibt. Da NRW viele Großstädte hat, sind auch an vielen anderen Orten entsprechende Beratungs- und Unterstützungsangebote nötig. Kompetenzzentren einzurichten und Leute fit zu machen, damit sie selber Beratungs- und Versorgungsangebote auf die Beine stellen können, ist sehr wichtig.
Schon vor meinem Studium war ich ehrenamtlich im Kontext der Aidshilfe tätig, damals noch in Tübingen und Reutlingen. Dann bin ich nach Köln gezogen und wollte erst einmal Distanz zur Aidshilfe. Dann habe ich eineinhalb Jahre bei der Drogenhilfe Köln gearbeitet. Dort war ich in einem Projekt zum Thema Amphetaminkonsum tätig und kam so erstmals mit diesem Thema in Kontakt und somit auch mit der Aidshilfe Köln.
Ich habe mich danach entschlossen, in die Arbeit der Aidshilfe zurückzukehren. Auf diese Weise kann ich Beratung und Gruppenarbeit viel intensiver gestalten als ich es bei meinem anderen Arbeitgeber hätte tun können. Denn dort war Chemsex nur ein Thema von vielen im Spektrum des Amphetamin-Konsums. Dabei geblieben bin ich wahrscheinlich, weil ich die Beratung für MSM einfach total spannend finde, weil mir der Kontakt zu ihnen wichtig ist und ich es unglaublich interessant finde, verschiedenen Perspektiven auf das Thema zu bekommen. Sexualisierter Substanzkonsum, also Chemsex, berührt so viele Facetten schwuler Identität und schwulen Lebens: Wie gestalte ich ein zufriedenstellendes Leben? Wie will ich mit meiner Gesundheit umgehen? Wie will ich soziale Kontakte gestalten? Wie überwinde ich Grenzen?
All das ist auf einer Metaebene total spannend. Wie schaue ich überhaupt auf Gesundheit? Was stelle ich mir darunter vor? Was sind meine eigenen Vorstellungen und wie passen diese zu den Vorstellungen anderer? Ähnlich ist es bei den anderen beraterischen Themen. Im Zusammenhang mit Substankonsum und Sexualität sieht man sich schnell mit moralischen Vorstellungen konfrontiert. Diese im Sinne einer konsum- und lebensstilakzeptierenden Haltung zu vertreten, wie wir es in der Aidshilfe tun, ist eine dieser besonderen Herausforderungen, die die Arbeit so vielseitig und spannend machten.
Ich möchte nicht behaupten, dass sie es prinzipiell besser leisten kann, aber die Aidshilfe setzt sich seit ihrer Gründung für schwule Männer und drogengebrauchende Menschen ein. Das ist Teil der DNA von Aidshilfe und man muss es sich nicht mehr draufschaffen.
Ich höre in Beratungs- und Kontaktgesprächen immer wieder, wie wichtig Lebensweltkenntnis und gelebte Lebensstilakzeptanz sind. Menschen wünschen sich, dass ihr Gegenüber immer weiß, wovon sie reden. Das kann mitunter trügerisch sein, wenn das Gegenüber meint: „Das musst du doch kennen“. Auch wenn es immer sehr individuell ist. Vor allem ist es diese Offenheit, die man nicht mehr explizit signalisieren muss, sondern die das Gegenüber meiner Meinung nach an meinen Nachfragen, meinem Interesse und der Ausstattung meines Büros merkt. Dort hängen Poster mit drei Männern an der Wand oder früher in der Beethovenstraße sah man auf der Treppe auf dem Weg nach oben schon viele Bilder von nackten Männern. Diese Mischung kann Aidshilfe einfach gut, und deswegen passt auch das Thema Chemsex bei Männern, die Sex mit Männern haben, sehr gut zu Aidshilfe.
Die Entwicklung und der Ausbau professioneller Strukturen und Angebote sind eine Zukunftsaufgabe von Aidshilfe. Denn ich glaube, dass ein solches Thema nicht so schnell verschwinden wird. Es verändert sich und darauf muss man reagieren, beispielsweise auf neue Substanzen. Auch in dieser Hinsicht freue ich mich über die Beschäftigung damit auf Landesebene.
Ich finde Aidshilfearbeit nach wie vor relevant und sie muss es auch bleiben. Denn ich glaube, dass die Entwicklungen der letzten Jahre vielleicht auch reversibel sind, wenn man sich nicht darum kümmert. Es könnte also wieder zu Anstiegen von Infektionen kommen und das politische Klima könnte sich verändern. Selbst bei sinkenden Infektionszahlen und einer besseren Behandelbarkeit gibt es nach wie vor eine sehr hohe Diskriminierung und Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen, leider auch innerhalb der Community und in der Allgemeinbevölkerung.
Auch das Wissen der Allgemeinbevölkerung könnte besser sein. Das merke ich immer, wenn ich mit meinen heterosexuellen Freunden spreche. Sie wissen schon einiges, aber bei weitem nicht alles, was man über das Thema HIV und das Leben als HIV-positiver Mensch wissen kann.